Rathenau  
 
 
         
 

Von der Wirtschaft zur Politik

Fortan versuchte Rathenau sich stärker auf politischem Gebiet zu engagieren, was ihm bisher aufgrund seiner jüdischen Herkunft schwer gemacht worden war. Dem wirtschaftlichen Ausbau und der territorialen Erweiterung der deutschen Afrikakolonien dienten zwei Afrika­reisen als Begleiter Bernhard Dernburgs, des Staatssekretärs im neu errichteten Reichskolonialamt. Sie geschahen auf Veranlassung des Reichskanzlers von Bülow, fanden aber ohne offiziellen Auftrag statt, weswegen sie sehr zurückhaltend anerkannt wurden. Eine ins Auge gefasste national­liberale Kandidatur bei den Reichstagswahlen 1912 scheiterte. Erst der Kriegsausbruch wies Rathenau eine tragende Rolle zu. Er wurde zum erfolgreichen Leiter der deutschen Kriegsrohstoffversorgung berufen, deren kriegswichtige Bedeutung er sofort erkannt hatte. Aus diesem Amt 1915 ausgeschieden und in der Hoffnung enttäuscht, zum Staatssekretär des Reichsschatzamtes berufen zu werden, wirkte Rathenau in der Folgezeit vor allem publizistisch mit der Propagierung einer staatssozialistischen Übergangswirtschaft. Dies brachte ihm die verbitterte Kritik sowohl der Großindustrie als auch konservativer und linker Politiker ein. Seine Warnung vor dem unbeschränkten U-Boot-Krieg und die pessimistische Beurteilung der deutschen Siegesaussichten stießen im patriotischen Bürgertum auf Ablehnung.

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Nachdem Rathenau sich durch einen aus dem Wunsch nach Stärkung der deutschen Position in den kommenden Friedensverhandlungen entsprungenen, aber psychologisch verfehlten Appell zur „Levée en masse“ (Massenerhebung, Volkswiderstand) im Oktober 1918 auch gegen die Friedenssehnsucht der Volksmassen gestellt hatte, war er politisch in der Revolutionszeit isoliert. Ein von ihm mitbegründeter „Demokratischer Volksbund“ fiel nach einigen Tagen wieder auseinander. Aus der Liste der Sozialisierungskommission wurde er gestrichen, an der Kandidatur für die Nationalversammlung in der DDP gehindert.

Walther Rathenau als Politiker


Rathenaus politisches Wirken begann erst nach dem misslungenen Kapp-Lüttwitz-Putsch 1920 mit der Berufung in die Zweite Sozialisierungskommission. Er setzte dem populären, aber außenpolitisch aus­sichtslosen Widerstand gegen die alliierten Reparationsforderungen die Strategie der nur vermeintlichen „Erfüllungspolitik“ entgegen, die auf Vertrauensbildung und damit wachsende Einsicht bei Frankreich und vor allem England setzte, um so die tatsächliche Unerfüllbarkeit der Siegerbedingungen glaubhaft zu machen. Gegen großen Widerstand berief ihn Reichskanzler Joseph Wirth daher am 30. Mai 1921 zum Wiederaufbauminister, der nach kurzer Zeit zur bestimmenden Figur in der Regierung geworden ist. Rathenaus Erfolg in dieser Zeit war das „Wiesbadener Abkommen“ mit dem französischen Minister Loucher über die Abgeltung der Reparationsschulden durch Sachleistungen. Dadurch konnte die deutsche Regierung ihr internationales Ansehen und besonders das Verhältnis zu Frankreich deutlich verbessern. Auch nach dem Rücktritt der Regierung im Oktober bemühte sich Rathenau als Emissär um weitere Minderung der Reparationslasten.

Erst am 31. Januar 1922 erfolgte der Eintritt Rathenaus in das zweite Kabinett Wirth als Außenminister. Dieser Schritt wurde sowohl im westlichen Ausland als auch im Inneren als Garant für die Fortsetzung der bisherigen Reichspolitik begrüßt. Lediglich die rechts stehenden Parteien und Zeitungen verbreiteten Theorien von einer jüdischen Weltverschwörung. Nach guten Anfangserfolgen mit Rathenaus Strategie zerstörte aber die Ersetzung der kompromissbereiten französischen Regierung Briand durch Poincaré, einem erklärten Gegner aller Reparationsverhandlungen, die Grundlagen der Erfüllungspolitik. Auf der Wirtschaftsgipfelkonferenz in Genua im April/Mai 1922 drohte eine neue Isolierung Deutschlands. Durch die Umstände und seine Berater gedrängt, schloss Rathenau in einem Vorort von Genua den seither mit seinem Namen verbundenen Rapallo-Vertrag, der die in die Ferne gerückten Hoffnungen auf einen Ausgleich mit den Alliierten zugunsten einer Verständigung mit Sowjetrussland zurückstellte.

Doch diese politische Konzeption steigerte nur den Hass der deutschen Rechten gegen Rathenau, der als Kapitalist Profit scheffle, als Sozialist die Bolschewisierung betreibe und als jüdischer Außenminister Deutschland an die Alliierten und an Russland gleichermaßen verschachere.

Nachdem sich die Drohbriefe und Schmähungen häuften und der deutsch­nationale Reichstagsabge­or­d­nete Karl Helfferich einen neuen öffentlichen Angriff auf Rathenau gestartet hatte, suchte Rathenau am 23. Juni 1922 die Versöhnung mit seinem wichtigsten wirtschaftpolitischen Gegenspieler, Hugo Stinnes. Tags darauf wurde er ermordet.

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Die Verhandlungspartner der russischen Delegation

Der Vertrag zwischen der Deutschen Reichsregierung und der Regierung der Russischen Föderativen Sowjetrepublik vom 16.4.1922 beendete die vollständige außenpolitische Isolierung Deutschlands, schuf allerdings auch weiteres Konfliktpotential mit den Westmächten. Man beschloss die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen, erklärte den gegenseitigen Verzicht auf Vorkriegsschulden und gestand sich im Handel Meistbegünstigung zu. Eine geheime Zusatznote schloss deutsche Alleingänge aus.

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Bruno Bielefeld (1879–1973)
Das Auswärtige Amt in der Berliner Wilhelmstrasse, Radierung, um 1925

Untergebracht war diese traditionsreiche Reichsbehörde in zwei klassizistischen Palais in der Wilhelmstraße, dem Regierungsviertel Preußens und des Reiches. Das Stammhaus Nr. 76 war, wie Rathenau betonte, „eines der wertvollsten architektonischen Dokumente von der Wende des 18. Jahrhunderts.“
Das im Stil des frühen Klassizismus errichtete Haus entsprach gerade seinen eigenen architektonischen Vorlieben, wie seine Villa in der Koenigsallee und Schloss Freienwalde beweisen. Rathenau zeigte großes Interesse an der gerade laufenden Renovierung und bemühte sich um die stilgetreue Wiederherstellung des Innern.

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Walther Rathenau um 1920

   
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„Ein geistig Freier wird das Anwachsen seines Vermögens nur als eine annehmbare Nebenwirkung seiner Tätigkeit eobachten...“
Walter Rathenau, 1917
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Berlin-Kreuzberg
Hedemannstrasse 11-12, Foto 1934,
Landesbildstelle Berlin

In diesem Gebäude organisierte Rathenau 1914/18 die deutsche Kriegsrohstoffversorgung. Nach seinem Tode wurde über dem Eingang eine Gedenktafel
für Rathenau angebracht, die von den Nationalsozialisten schon vor 1933 entfernt wurde, nachdem die Redaktion des Berliner SA-Blattes „Angriff“ in das Haus eingezogen war. Heute gibt es wieder eine Gedenktafel.

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Hugo Stinnes
Foto um 1910, Landesbildstelle Berlin

Stinnes (links), Industriemagnat der Nachkriegszeit, war Rathenaus wirtschaftlicher Gegenspieler in der Weimarer Republik. Rathenau traf mit ihm zur Erörterung des Inflationsproblems noch am Abend vor seiner Ermordung bis tief in die Nacht zusammen.

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Bernhard Fürst von Bülow

Foto um 1905, Landesbildstelle Berlin

Fürst Bülow, Reichskanzler und Preußischer Ministerpräsident 1900–1909, förderte die politischen Ambitionen Rathenaus. Auf seinen Wunsch begleitete Rathenau den Staatssekretär des Reichskolonialamtes Dernburg auf seinen Afrikareisen.

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Walther Rathenau als Aussenminister

Zum erstenmal seit Jahrzenten hatte das Ausland wieder vor einem deutschen Staatsmann Achtung gefunden, zum erstenmal seit Bismarck ein deutscher Diplomat durch sein persönliches Wesen imponiert. Und so wurde ihm auch das letzte Wort jener Konferenz gegeben, zu jener grossartigen Rede am Ostertag, wo er – während zu Hause schon die Gymnasiasten in der Schulpause seine Ermordung berieten – den Ruf zur Besinnung, zur Eintracht Europas mit der ganzen Leidenschaft tragischer Überzeugung formte und sein letztes Wort das „Pace! Pace!“ Petrarcas war.

Stefan Zweig in „Europäisches Erbe“,
zur Konferenz von Genua 1922

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Walther Rathenau am 8. Februar 1922
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An diesem Tisch schrieb Walther Rathenau noch am Morgen seiner Ermordung