Rathenau  
 
 
         
 

Das Attentat und dessen Folgen

Rathenaus politisches Engagement hatte ihm Respekt, aber auch neue Feinde eingetragen. Die Linken verübelten ihm seinen Aufruf zur Levée en masse in den letzten Kriegswochen. Im überwiegend nationalistischen und zunehmend antisemitisch eingestellten Bürgertum wurde das auf außenpolitische Versöhnung bedachte Handeln Rathenaus immer schärfer kritisiert. Der radikalste Anwalt dieser Strömung, in der sich der wirtschaftliche Niedergang der bislang staatstragenden Mittelschichten ein Ventil suchte, war Karl Helfferich. Er griff am Tage vor Rathenaus Ermordung den Außenminister in einer Reichstagsrede heftig an. Sie gipfelte in der Forderung, die ganze Regierung wegen Ausverkaufs der nationalen Interessen vor einen Staatsgerichtshof zu stellen.

Dennoch kamen Rathenaus Mörder nicht aus der parlamentarischen Rechten, sondern aus einem der nach der Auflösung der Freicorps in den Untergrund gegangenen rechtsradikalen Wehrverbände. Die Brigade Ehrhardt, einer der militärischen Träger des Kapp-Lüttwitz-Putsches vom März 1920, hatte unter ihrem Führer Hermann Ehrhardt und unter dem Schutz bayerischer Behörden in München die „Organisation Consul“ aufgebaut. Unter dem Tarnnamen „Bayerische Holzverwertungsgesellschaft“ rekrutierte sie im ganzen Reich „entschlossene nationale Männer“, um nach außen die Landesgrenzen gegen einen erneuten Polenaufstand zu verteidigen und nach innen eine Wiederholung des 1920 misslungenen Staatsstreiches vorzubereiten.

Nachdem Angehörige der „O. C.“ bereits an Matthias Erzberger und Philipp Scheidemann Attentate auf verhasste prominente Weimarer Politiker verübt hatten, um das Land zu destabilisieren, bereitete nun eine eigens gebildete Verschwörergruppe monatelang den Anschlag auf Rathenau vor. Am Vormittag des 24. Juni 1922 heftete sich ein starkmotoriger offener Wagen an das kleine NAG-Cabriolet, mit dem Rathenau ins Auswärtige Amt fuhr. An einer nur langsam zu passierenden Kurve überholte der Verfolgerwagen. Die Mörder trafen den wehrlosen Minister mit mehreren Schüssen und warfen eine Handgranate.

Die Nachricht von dem mörderischen Anschlag erschütterte Deutschland wie kein anderes Attentat in der Weimarer Zeit. Im Reichstag kam es zu tumult­artigen Auseinandersetzungen, die ihren Höhepunkt erreichten, als ein rechtsradikaler Besucher Helfferich einen schwarz-weiß-roten Blumenstrauß auf das Pult legte. Im ganzen Reich kam es zu Demonstrationen, wie seit dem November 1918 nicht mehr. Ein eintägiger Generalstreik unterstützte die Forderung nach wirksamen Maßnahmen gegen die drohende Gefahr von rechts.

Der Reichstag regierte mit einem Gesetz zum Schutz der Republik, das die verfassungsmäßige Ordnung gegen eine aufkommende Gegenrevolution schützen sollte, sich aber schnell in eine scharfe Waffe gegen links verwandelte.

Die zwei eigentlichen Mörder wurden nach einer vierwöchigen Verfolgungsjagd durch ganz Deutschland auf Burg Saaleck bei Bad Kösen gestellt und starben bei einem Schusswechsel mit der Polizei bzw. durch eigene Hand.

Die überlebenden Mittäter wurden von dem neu geschaffenen Staatsgerichtshof mit zum Teil langjährigen Zuchthausstrafen belegt. Das hinter den Anschlä­gen vermutete Komplott zum Sturz der republikanischen Regierung hingegen wurde aus außenpolitischen Rücksichten nie öffentlich angeprangert, geschweige denn aufgeklärt.

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Der dreiundzwanzigjährige Erwin Kern, Oberleutnant zur See a. D. und Student aus Kiel hatte den Anschlag organisiert und Rathenau aus dem fahrenden Wagen mit neun Schüssen tödlich getroffen. Der 1896 geborener Ingenieur Hermann Fischer saß zusammen mit Kern im Fond des von dem Studenten Ernst Werner Techow gesteuerten Wagens und warf die Handgranate.

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Die Angeklagten während des Prozesses gegen die Mörder Rathenaus

Die Aufnahme zeigt sechs der Angeklagten im Großen Saal des Reichsgerichts in Leipzig während der Verhandlung des Staatsgerichtshofes zum Schutz der Republik im Oktober 1922. An der Wand hängt eine Tatortskizze.

1. Ernst von Salomon
2. Ernst Werner Techow
3. Carl Tillessen
4. Waldemar Niedrig
5. Friedrich Warnecke
6. Hans Gerd Techow

Die Urteile lauteten auf 15 Jahre Zuchthaus für den Fahrer Techow, und vier bis acht Jahren wegen Beihilfe und Begünstigung für vier andere Helfer, darunter dem später bekannt gewordenem Publizisten Ernst von Salomon.

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„Rathenaus Beisetzung fand am Dienstag, dem 27. Juni statt. Der Sarg wurde im Sitzungssaal des Reichstages aufgebahrt. Unter einer großen schwarz-rot-goldenen Fahne stand er dort, wo sonst der Präsidentenstuhl steht. Attachés des Auswärtigen Amtes bildeten die Totenwache. In der Kaiserloge saß wachsbleich und wie zu Stein geworden Rathenaus Mutter und blickte immer nur starr hinunter auf den Sarg. Ebert hielt die Totenrede: „Die verruchte Tat traf nicht den Menschen Rathenau allein, sie traf Deutschland in seiner Gesamtheit.“ Die Gewerkschaften hatten eine allgemeine Arbeitsruhe im ganzen Reich von Dienstag 12 Uhr bis Mittwoch früh beschlossen. Ungeheure Demonstrationszüge, wie sie Deutschland noch nicht gesehen hatte, durchzogen geordnet unter republikanischen Fahnen alle deutschen Städte. Über eine Million Menschen in Berlin, hundertfünfzigtausend in München, in Chemnitz, hunderttausend in Hamburg, Breslau, Elberfeld, Essen. Nie hatte Deutschland einen seiner Bürger so geehrt. Den Widerhall, den Rathenaus Leben und Denken nicht gefunden hatte, fand jetzt sein Tod.“

Harry Graf Kessler

 

Märtyrer der Republik

Als Rathenau am 24. Juni 1922 in der Berliner Koenigsallee auf der Fahrt ins Auswärtige Amt im offenen Wagen ermordet wurde, war er 54 Jahre alt. Eben erst hatte er als Reichsaußenminister begonnen, eine neue Epoche der deutschen Außenpolitik nach dem Ersten Weltkrieg zu eröffnen. Der später als „Erfüllungspolitik“ geschmähte Versuch, die unerfüllbaren Forderungen der auf dem Versailler Vertrag pochenden Siegermächte durch Kooperation statt durch Konfrontation zu mildern, hatte im Wiesbadener Abkommen erste Früchte getragen. Auch der Ausgleich mit Sowjetruss­land im Rapallo-Vertrag, mit dem Deutschland sich außenpolitische Bewegungsfreiheit zurückeroberte, wurde von Rathenau, wenn auch nur zögernd, verantwortet. Der tote Rathenau galt fortan mit Erzberger und später auch Ebert als Märtyrer der Republik.
Eine Walther Rathenau Stiftung und die Walther Rathenau Gesellschaft e.V. bemühten sich, mit der Verwaltung seines Vermächtnisses das Andenken an den Ermordeten zu bewahren. So wurde die Villa im Grunewald als Gedenkstätte eingerichtet und ein Grossteil seines schriftlichen Nachlasses aus persönlichen und politischen Papieren dem Potsdamer Reichsarchiv zur Aufbewahrung und Auswertung übergeben. Ab 1924 kamen mehrere Bände von gesammelten Werken, Briefen und Aufzeichnungen auf den Markt. Angesichts der politischen Atmosphäre in Deutschland traten jedoch Schwierigkeiten auf, wenn es beispielsweise galt, in Berlin eine Straße nach Rathenau zu benennen oder an der Mordstelle ein schlichtes Gedenkzeichen zu errichten.

Die Nationalsozialisten tilgten dann das Andenken an den jüdischen Staatsmann, soweit sie es vermochten und ehrten stattdessen seine Mörder mit Gedenk­tafeln und pompösen Feiern am Grabe. Auffallend ist, dass nur wenige Beteiligte am Mordkomplott später an der Herrschaft der Nazis teilhatten, deren Sieg sie eigentlich mit vorbereiten geholfen hatten. Die meisten spielten im Dritten Reich keine politische Rolle mehr. Einige knüpften gar Kontakte zum Widerstand. Nach dem 2. Weltkrieg hat man in beiden Teilen Deutschlands die nach ihm benannten Straßen, die 1933 um- bzw. zurückbenannt worden waren, meistens wieder Rathenau gewidmet. Neue Straßen, Plätze und Schulen kamen dazu.

In Freienwalde schenkten Rathenaus Erben Edith Andreae und deren vier Töchter das Schlossanwesen nach dem Tod der Mutter Mathilde im Jahre 1926 dem damaligen Kreis Oberbarnim. Mit der Annahme der Schenkung durch den Landrat und Rathenau-Freund Peter-Fritz Mengel verpflichtete sich der Landkreis, Rathenaus Andenken durch die Pflege des Schlosses Freienwalde wach zu halten. Das gelang allerdings nur bis 1933, als auch in Bad Freienwalde nichts mehr an den jüdischen Großindustriellen und Politiker Walther Rathenau erinnern durfte. Es mussten 58 Jahre vergehen, bis er in seinem einstigen Besitztum in der alten Kur- und Badestadt wieder angemessen geehrt werden durfte.

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Gewaltige Massendemonstrationen gegen das Attentat an dem Minister
Dr. Rathenau im Lustgarten in Berlin am 25.6.1922

   
Die Mordstelle an der Koenigsallee
 
Trotz der Todesahnung auf Begleitschutz verzichtet
Das Fahrzeug der Attentäter

Mit dieser Maschinenpistole erschoss Erwin Kern am 24.6.1922 Walther Rathenau

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Trauerfeier für den Aussenminister

Hinter dem Sarg Mitglieder der Regierung und des Reichstages
Foto 27.6.1922

Bei der emotional beeindruckenden Trauerfeier im Reichstag spielte ein unsichtbares Orchester zuletzt den Trauermarsch auf den erschlagenen Siegfried aus der „Götterdämmerung“ von Richard Wagner . Dem schloss sich ein feierliches Kondukt zur Beisetzung im Familiengrab auf den Friedhof in Oberschöneweide an.

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Die Aufnahme zeigt Rathenaus Mutter Mathilde mit ihrer Tochter Edith und deren Ehemann Fritz Andreae beim Verlassen des Hauses Koenigsallee 65, in dem der ermordete Minister aufgebahrt lag.

Das Schlußwort der menschlichen Tragödie aber sprach Rathenaus Mutter. Sie schrieb an die Mutter des einen überlebenden Täters, Techow, den folgenden Brief:

„In namenlosem Sehmerz reiche ich Ihnen, Sie ärmste aller Frauen, die Hand. Sagen Sie Ihrem Sohn, daß ich im Namen und Geist des Ermordeten ihm verzeihe, wie Gott ihm verzeihen möge, wenn er vor der irdischen Gerechtigkeit ein volles offenes Bekenntnis ablegt und vor der göttlichen bereut. Hätte er meinen Sohn gekannt, den edelsten Menschen, den die Erde trug, so hätte er eher die Mordwaffe auf sich selbst gerichtet, als auf ihn. Mögen diese Worte Ihrer Seele Frieden geben.

Mathilde Rathenau“

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Rathenau- Grabstätte in Berlin-Oberschönenweide