Rathenau  
 
 
         
 

Als Schlossherr in Freienwalde

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam es zu einer weit verbreiteten Rückbesinnung auf die Wurzeln des bürgerlichen Geistes, die Aufklärung und den Klassizismus. Zu der kleinen Gruppe von Kunstfreunden und Intellektuellen, die aus der Großstadt Berlin in die märkische Umgebung fuhren, um die herbe Landschaft mit ihren schlichten Kulturzeugnissen zu entdecken, gehörte auch Walther Rathenau. Sein Interesse galt vor allem dem in Vergessenheit geratenen preußischen Königsschloss Freienwalde, das er schließlich 1909 von der königlichen Hofkammer käuflich erwarb.

So wenig wie das fast gleichzeitig errichtete Haus in Berlin-Grunewald wurde Schloss Freienwalde zu einem behaglich-intimen Refugium, sondern weit mehr Ausdruck des Kunstideals seines Besitzers.
Rathenaus Liebe zum etwas spröden und unpathetischen Frühklassizismus entsprach seiner nach Bändigung und rationeller Beherrschung strebenden Persönlichkeit, die eigene Hemmungen und öffentliche Diskriminierungen als Jude durch die Ästhetisierung des persönlichen Lebensstils auszugleichen versuchte.

Rathenau veränderte das Äußere des Schlosses durch einen von dorischen Säulen getragenen halbrunden Altan an der nordöstlichen Schmalseite und verband ihn mit einem umlaufenden Umgang, welcher mittels einer Treppe mit der umgestalteten Terrasse vor dem Schloss verbunden wurde. Eine aufwendige Fassadengestaltung durch geputzte Lisenen und plastische Details an den Fenstern sowie das halbkreisförmige Balkonfenster mit Terrassentür sollten den klassizistischen Charakter des Hauses betonen. Das Innere versuchte er im Stile der Erbauerin Friederike Luise zu restaurieren und ergänzte einige Räume im etwas steifen Empire.

Die innere Verbundenheit zu dem von ihm mitgestalteten Anwesen kommt vor allem in einer Reihe von Skizzen und mindestens 20 Pastellen zum Ausdruck, die er meistens verschenkte. Damit griff er auf eine Malweise zurück, die als künstlerisches Ausdrucksmittel des späten 18. Jahrhunderts galt. Auch ließ er im Spätsommer 1911 eine Serie von 18 Fotografien des Schlosses mit seinen schönsten Innenräumen anfertigen und verschenkte großformatige Abzüge voller Stolz an Freunde und Verwandte und sogar auch an Kaiser Wilhelm II.

Hier in Freienwalde besuchten ihn seine engsten Mitarbeiter und literarische Freunde, mit denen er regen Austausch über Fragen der Politik, Wirtschaft und Kunst pflegte. Mehrere Male waren Gerhart Hauptmann und Carl Sternheim mit ihren Familien zu Gast; Fritz von Unruh verbrachte den Sommer 1913 im Schloss und vollendete hier sein Drama „Louis Ferdinand Prinz von Preußen“. Auch Rathenau selbst nutzte die Stille des Landsitzes für seine umfangreiche schriftstellerische Tätigkeit. Noch zu Lebzeiten übertrug Walther Rathenau seinen Freienwalder Besitz an die 1918 gegründete „Walther Rathenau Stift GmbH zum Zwecke der Förderung von Wissenschaft und Kunst“, deren Anteile er allerdings als einziger Gesellschafter selbst behielt.

 

„Vom Reich der Seele“
Schriftsteller, Künstler, Kunstsammler

Lange hatte Rathenau gegen den ihm vorgezeichneten Berufsweg revoltiert und noch 1907 erwogen, sich ganz auf einen Landsitz zurückzuziehen und Philosophie zu treiben. In die literarische Öffentlichkeit trat Rathenau 1897 mit dem in Maximilian Hardens Zeitschrift „Zukunft“ erschienenen Aufsatz „Höre, Israel!“, einem Dokument jüdischen Selbsthasses. Über Harden, der für 15 Jahre sein enger Freund und Mentor wurde, schloss Rathenau Bekanntschaft mit den herausragenden Vertretern der literarisch-künstlerischen Opposition der Kaiserzeit wie Franz Wedekind, Stefan Zweig, Max Sternheim, Hugo von Hofmanns­thal und Harry Graf Kessler. In der „Zukunft“ erschienen in den Folgejahren immer wieder Aufsätze, die sich mit geschäftlicher Moral und kulturellen Betrachtungen befassten. Zusammengefasst erschienen sie später in Rathenaus ersten selbständigen Veröffentlichungen, den „Impressionen“ (1902) und „Reflexionen“(1908).

Zum viel gelesenen Autor des S. Fischer Verlages und zum „Großschriftsteller“ (gemäß der Diktion von Robert Musil) avancierte Rathenau durch diejenigen Werke, in denen er – von Nietzsche
beeinflusst – die „Mechanisierung“ als Grundübel der Gegenwart beklagte und die Vision einer ethisch begründeten neuen Ordnung entwarf. Nach den Schriften „Zur Kritik der Zeit“ (1912) und „Zur Mechanik des Geistes“ (1913) vollendete er 1916 sein letztes größeres Werk „Von kommenden Dingen“, dem viel diskutierten Entwurf eines künftigen Volks­staates mit weitgehender sozialer Gerechtigkeit. Derart unortho­doxe Ideen isolierten ihn stark in bürgerlichen Kreisen und riefen Misstrauen bei den Sozialisten hervor.

Später gab er der „Mechanik des Geistes“ den zusätzlichen Titel „Vom Reich der Seele“. Für Rathenau ist die Seele das absolute Gegenteil von Verstand und Intellekt.

Die Vorstellung, Kunst sei „die Sprache der Seele“, beeinflusste auch den Sammler und Künstler Walther Rathenau. Seit der Studienzeit hielt er seine jeweilige Umgebung in Dutzenden von Skizzenbüchern, auf Briefen und Postkarten fest. Um 1910 griff er erstmalig zu Pastellstiften und bannte die dezente Schönheit des Schlosses und die Pracht des blühenden Parks auf Karton. Bei diesen Ansichten sowie den etwa gleichzeitig entstandenen Porträts seiner Mutter und von sich selbst erkennt man trotz einer gewissen Sachlichkeit und Kühle unschwer die stilistischen Vorbilder Munch und Liebermann.

Als Kunstsammler richtete Rathenau seit jungen Jahren sein Hauptinteresse auf Antiquitäten, mit denen er schon die elterliche Wohnung ausstattete. Für den Neubau der Grunewald-Villa und das Schloss Freienwalde erwarb er eine Vielzahl an Möbeln, Bildern und Kunsthandwerk des 18. und 19. Jahrhunderts. Aber auch die zeitgenössische Kunst der Jahrhundertwende beschäftigte und inspirierte ihn als Kunsttheoretiker und Mäzen.

Für seine künstlerischen Ambitionen standen Walther Rathenau erst seit der Jahrhundertwende größere finanzielle Mittel zur Verfügung, als er bei der Berliner Handels-Gesellschaft als Bankier zwischen Industrie- und Bankkapital vermittelte. Sein Faible für alte Architektur konnte der sonst so rational und modern denkende Industrielle an seinen eigenen Häusern und Wohnungen publik machen. Die neu errichtete Villa im vornehmen Berliner Grunewald und das fast gleichzeitig erworbene und restaurierte preußische Königsschloss Freienwalde richtete er mit Werken des 18. und 19. Jahrhunderts ein, darunter eine bemerkenswerte Reihe an Schreib- und Kabinettschränken. Daneben waren es vor allem originale Tapetenbilder aus der Zeit um 1800, die er mit seltenem Spürsinn sammelte und stilsicher in seine Wohnungen integrierte. Fehlende Partien versuchte er nachzumalen oder zu kopieren.

Auch bei zeitgenössischer Kunst lies er sich in seiner Subjektivität nicht beirren und sammelte Werke meist weniger bekannter Künstler, die mitunter traditionelle Bildthemen aufnehmen. Rathenau bevorzugte Darstellungen in „einem historisch erprobten Stil und leicht durchschaubaren Regeln hergestellt“, wie sein erster Biograf Harry Graf Kessler schrieb. Im Vergleich zu anderen Privatsammlungen der bürgerlichen Oberschicht, seinen finanziellen Möglichkeiten sowie den engen Beziehungen zur Berliner Avantgarde zeichnete sich seine kleine Kollektion – bis auf Ausnahmen – durch Bescheidenheit und Konventionalität aus. Allerdings erwarb er schon früh einige expressionistische Werke, die damals allgemein als Verirrungen galten. Heute ist nur noch rund die Hälfte der etwa vierzig Kunstwerke in verschiedenen Sammlungen nachweisbar; einige werden auch wieder in Schloss Freienwalde ausgestellt. Ein wertvolles und auch recht bekanntes Bild befindet sich im Märkischen Museum: das lebensgroße Porträt Walther Rathenaus von dem norwegischen Expressionisten Edward Munch.

Besonders auffallend ist eine Vielzahl von Frauendarstellungen. Dies deutet auf Rathenaus Vorstellung, die Seele vor allem bei den Frauen finden zu können. Überhaupt scheint ihn dieses Thema oft beschäftigt zu haben; philosophiert und schreibt er doch gern über „das Reich der Seele“ und seine daran angelehnte Ästhetik.

Walther Rathenau unterstützte nicht nur einzelne Künstler durch Ankäufe, Aufträge und Protektion, er war auch Mitglied von Kunstvereinen und Denkmalkomitees. Dabei setzte er sich für die Errichtung nationaler Gedenkstätten für Friedrich Nietzsche und Otto von Bismarck ein und versuchte zugleich, eigene künstlerische Vorstellungen zu verwirklichen.
Zum Schluss seien einige weitere bekannte Schriftsteller und Künstler aufgezählt, mit denen Rathenau befreundet oder zumindest gut bekannt war, mit denen er zum Teil jahrelang im intensiven Briefwechsel und persönlichen Kontakt stand. Bei vielen führte gelegentlich auch der Weg nach Schloss Freienwalde. Dies war nicht nur stille Arbeitsstätte für den vielbeschäftigten Mann, sondern eben auch der Ort, Freunde zu empfangen, mit denen er regen Austausch über Fragen der Politik, Wirtschaft und Kunst pflegte.

In erster Linie wäre Maximilian Harden zu nennen, erfolgreicher und stark umstrittener Publizist und gefürchteter Kritiker des kaiserlichen Establishments, den mit Rathenau eine rund fünfzehnjährige ambivalente Beziehung verband. Dieser verstand es aber wiederholt, dem Drängen Rathenaus auszuweichen und kam vermutlich nie nach Freienwalde. Dann Schriftsteller wie Annette Kolb, Carl Sternheim, Ernst Norlind aus Schweden und Emil Ludwig, Kunsthistoriker wie Alfred Lichtwark, Gustav Pauli und Ludwig Justi, die Architekten Peter Behrens und German Berstelmeyer sowie sein Verleger Samuel Fischer, der auch mit Familienanhang bei Rathenau zu Gast war.

Fritz von Unruh vollendete während seines Sommeraufenthalts im Jahre 1912 sein Drama „Louis Ferdinand Prinz von Preußen“ in Freienwalde und verarbeitete seine Eindrücke später unter anderem in dem Schauspiel „Tochter Zion“ von 1927. Er inspirierte aber auch Rathenau zu dessen preußisch-patriotischer Versdichtung „1813“.

Der wohl Bedeutendste unter den Künstlerfreunden dürfte Gerhart Hauptmann gewesen sein, der mit Gattin Margarethe mehrmals nach Freienwalde kam und Rathenau zu seinen sehr wenigen Duzfreunden zählen durfte. Im Gegensatz zu Hauptmann, der den Schlosskauf stets als Kulturtat Rathenaus würdigte, mokierten sich einige andere über die Steifheit und museale Ordnung im Schloss, die die Wohnlichkeit beeinträchtige. Genannt seien Stefan Zweig und Gustav Hillard-Steinbömer, ein früherer Offizier, der sich als Finanzmann mit Theater, Kunst und Moral beschäftigte. Letzterer gehörte ebenso wie Harry Graf Kessler und Edwin Redslob, der spätere Reichskunstwart, zu den von Rathenau geschätzten Multitalenten, die in mehreren Kunstgattungen bewandert waren.

An bildenden Künstlern seien die Bildhauer Louis Tuaillon, Georg Kolbe, Hermann Hahn, der bekannte Tierplastiker August Gaul und von den Malern Lesser Ury sowie die heute unbekannte Dora Hitz zu nennen.

Neben den Berliner Geistesgrößen, von denen einige zu Unrecht fast vergessen sind, fallen auch Mitglieder der Schwabinger Boheme der Jahrhundertwende aus München auf, mit denen Rathenau Verbindungen pflegte. Auch kam es mitunter zu Kontakten mit der Freienwalder Gesellschaft. Mit dem im nahen Hohenfinow wohnenden liberalen Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg diskutierte er neben politischen und Weltkriegsproblemen auch über Kunst und Kultur. Die Schriftstellerin Clara Kilburger, zweite Gemahlin des in Freienwalde ansässigen vielseitigen Dichters Victor Blüthgen, erinnerte sich:
„In dem kleinen Freienwalde ist alles benachbart. Rathenau und wir guckten uns in die Gärten, wenn auch die ganze Stadt uns trennte und ein Weg von fünf Minuten überwunden werden musste, um uns zu erreichen. Rathenaus weitausgreifender Geist suchte bei uns schlichter gearteten Menschen das, was ihm Not tat: Entspannung. Tiefer schürfenden Fragen – soweit sie nicht zufällig durch die Erwähnung seiner Bücher hervorgerufen wurden – gingen wir aus dem Wege, plauderten über hundert Dinge, zuweilen bis in die Nacht hinein.“

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Fritz von Unruh verfasste ein Drama anlässlich seines Sommeraufenthaltes in Freienwalde 1913. Er erinnerte sich später:

„‘Vorsicht, Vorsicht!‘ rief Rathenau dem Chauffeur zu, als wir, durch das Parktor von Freienwalde einfahrend, den einen Pfeiler streiften. Dann kamen wir aber doch heil oben vor dem Friderizianischen Schlößchen an, das er gekauft hatte und das er mir nun als der neue Besitzer stolz zeigte (...)

Als er die Tür geschlossen hatte, träumte ich dann wirklich in diesem zauberhaften Preußen-Schlößchen, an dessen Wänden Ölbilder hingen, Friedrich den Großen darstellend, den schweren dunklen Traum der Niederlage von 1806. (...)

In dieser Nacht schrieb ich am Schreibtisch der Königin Luise den Schlußsatz meines Dramas hin: ‚Sucht Preußen! Es gibt keine Preußen mehr!‘“

 

 

   

Schloss Freienwalde mit der Luisen-Eiche
Pastell, nach 1909

Eines der Pastelle mit Ansichten von Schloss und Park Freienwalde, die Walther Rathenau gern verschenkte. Dieses Exemplar stammt aus dem Nachlass der langjährigen Hausdieners Hermann Merkel.
Das Musikzimmer Rathenaus mit der von ihm erworbenen Bildtapete, „Amor und Psyche“, 1911
Schloss Freienwalde mit Terrassenmauer,
Pastell von W. Rathenau, nach 1910
 

Julius Gari (Baldi) Melchers (1860–1932)

Holländerinnen in der Kirche
Öl auf Leinwand, vor 1895
Walther Rathenau Gesellschaft e.V.

Rathenaus typischer Kunstgeschmack: Der in Amerika geborene Sohn deutscher Einwanderer machte sich in frühen Jah­ren als nüchterner Schilderer des holländischen Landlebens einen Namen.

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Franz Kullrich

Zwei Innenansichten von Schloss Freienwalde nach der Umgestaltung durch Walther Rathenau, 1911

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Die obere Aufnahme zeigt das sogenannte Toilettenzimmer mit der von Rathenau nach 1909 angebrachten Empiretapete und teilweise neu erworbener Möblierung. Im Gegensatz dazu das anschließende Frühstückszimmer, mit einer Stoffbespannung des 19. Jahrhunderts und den originalen Sitzmöbeln aus der Erbauungszeit.
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Eisenkunstguss aus dem 19 Jahrhundert: Kopie der Ildefonso-Gruppe, Madrid
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