Rathenau  
 
 
         
 

Walther Rathenau hat das Schloss zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor dem Verfall gerettet und dafür gesorgt, dass eine nach ihm benannte Stift GmbH dieses 1798/99 von David Gilly erbaute Kleinod klassizistischer Baukunst nach seinem Tode der Öffentlichkeit zugänglich machte. So hatten die Besucher Freienwaldes Gelegenheit, sich in den sorgfältig im Stil des preußischen Klassizismus hergerichteten Räumen an Rathenau erinnern zu lassen.

1926 schenkten die Erben des Ermordeten das Anwesen dem damaligen Landkreis Oberbarnim, dessen Landrat Peter Fritz Mengel das Andenken an Walther Rathenau stets wach hielt.

Das war allerdings nur bis 1933 möglich, als alle Erinnerungen an Walther Rathenau im Schloss getilgt wurden. Danach galten nur noch die Hohenzollern als erinnerungswürdig, und von 1945 bis 1989 auch die nicht mehr.

Seit 1991 kann, darf wieder erinnert werden, aber – es ist fast nichts mehr da: die Schlosseinrichtung in alle Himmelsrichtungen zerstreut oder vernichtet, der schriftliche Rathenau-Nachlass in einem Moskauer Archiv als Beutegut des Zweiten Weltkrieges.

Was im Oderland­museum die Zeiten überdauerte oder als Leihgabe zu erlangen war, zeigen wir in den oberen Schlossräumen. Die unteren, die hier die Beletage sind, werden in den kommenden Jahren so wiederhergerichtet, dass einige von ihnen als hervorragendes Zeugnis klassizistischer Innenraumgestaltung erlebbar werden können.

Die Erinnerung an Walther Rathenau, durch diese fortlaufend ergänzte Ausstattung wach gehalten, gilt einer historischen Persönlichkeit, die für uns Heutige Repräsentant, Kritiker und Opfer einer vergangenen, zwischen Kaiserreich und Republik schwankenden Epoche war.

Diese Epoche endete im Unheil: Rathenau – selbst ein Zerrissener – hat es vor dem Ersten Weltkrieg vorhergesehen und danach zu verhindern gesucht – und mit dem Leben bezahlt. Unsere Ausstellung gilt der Person Walther Rathenaus, aber sie meint die widerspruchsvolle Geschichte, die sich in ihr spiegelt.




Von Prof. Dr. Martin Sabrow, Berlin
Erinnerungsort einer versäumten Zukunft

Im deutschen Erinnerungshaushalt hat Schloss Freienwalde bis heute keinen anerkannten Platz. 50 Kilometer östlich Berlins an der Grenze zur Neumark am Oderbruch gelegen und 1798/99 von David Gilly als Refugium der verstoßenen Gattin und dann Witwe des unbedeutendsten aller neun Preußenkönige erbaut, trug es von jeher den Stempel resignierter Abgeschiedenheit. So erging es Theodor Fontane, der es auf seinen märkischen Wanderungen unbewohnt antraf und beim Stöbern nach zerstreuten Erinnerungsstücken auf eine Drehorgel stieß, die verstaubt im Keller stand: „Wir legen die Kurbel an, die sich unter einem Ballen Flachs und Heede findet, und beginnen zu drehen. Aber die Harmonie ist hin. Die heiteren Töne springen nicht mehr elastisch vom Lager auf; lahm, gebrochen, verstimmt ziehen sie langsam durch die Luft und hallen düster und unheimlich von der Kellerwand zurück.“ Fontane konnte nicht ahnen, dass nur wenige Jahrzehnte später in der Abgeschiedenheit des märkischen Hohenzollern-Schlösschens die Konturen eines anderen Wegs in die Moderne des 20. Jahrhunderts aufscheinen würden. Sie machen Schloss Freienwalde zu einem noch zu entdeckenden Erinnerungsort von europäischem Rang, und seine Geschichte begann, als die preußische Krone das unbeachtete Anwesen 1909 samt Nebengebäuden, Park und Inventar für 262 500 Mark an einen Berliner Unternehmer veräußerte.

Der neue Besitzer hieß Walther Rathenau, und er notierte rückblickend: „Im Jahre 1909 wünschte der preußische Kronfiskus sich einiger Liegenschaften zu entledigen; eine davon war das Schloss Freienwalde [...]; ein einstöckiges Landhaus von fünf Fenster Breite und vier Fenster Tiefe, inmitten eines mäßigen Parkgrundstücks am Rande der Stadt Freienwalde gelegen. Ein Freund führte mich hin, weil er wusste, dass ich die Bauweise des preußischen Klassizismus liebe, die damals kaum dem Namen nach bekannt und wenig gewürdigt war.“ In gewollter Nüchternheit deutete Rathenau damit schon an, dass seine Erwerbung weit mehr darstellte als nur die Sommerfrische eines reichen Unternehmers. Tatsächlich war sie in Wahrheit der Schauplatz eines lautlosen Kulturkampfes, in dem es um Integration und Ausgrenzung ging und damit zugleich um den Weg in die Moderne des 20. Jahrhunderts. Um diese Bedeutung zu entschlüsseln, hilft ein genauerer Blick auf die Motive, die Rathenau zu seinem Engagement als Förderer preußischer Frühklassik bewogen.

Zwei Jahre zuvor hatte er seine Position als Geschäftsinhaber bei der Berliner Handels-Gesellschaft aufgegeben und hielt als alternder Kronprinz der AEG mit einer aus­gedehnten politischen und unternehmerischen Beratungstätigkeit seine Hoffnung aufrecht, demnächst in ein politisches Amt mit weit reichender Gestaltungskraft berufen zu werden. Doch seine politischen Ambitionen zerschlugen sich zwischen 1909 und 1911 stückweise, was in Rathenau den alten Zwiespalt zwischen literarischer und unternehmerischer Berufung wachrief. Schloss Freienwalde wurde so wie im Jahr darauf sein ebenfalls von ihm selbst erbautes Berliner Stadthaus zum Betätigungsfeld eines Gestalters im Wartestand, der seine Vorstellungen von der Zukunft des Landes nur als ästhetisches Programm, nicht aber als politische Tat verwirklichen konnte.

Der von ihm erwähnte „Freund“ war ein junger Kunsthistoriker, der an einer Darstellung über „Berliner Baumeister“ seit dem Ende des 18. Jahrhunderts arbeitete und sich der Wiederentdeckung des preußischen Frühklassizismus verschrieben hatte. In ihm fand Rathenau einen Gesinnungsgenossen, der seine Kritik am wilhelminischen Stilverfall teilte und ihm aus kunsthistorischer Sicht die Pflege dieser „schlichten Schöpfungen altpreußischer Kultur“ ans Herz legte. „Es ist kein Zufall“, schrieb Schmitz später, „daß gerade im Beginn des 20. Jahrhunderts, als die reiche Neubarockkunst, mit allen möglichen anderen Stilnachahmungen vermischt, vorzüglich in Berlin in üppigster Blüte stand, vereinzelte feinsinnige Kunstfreunde zuerst auf die fast ein Jahrhundert hindurch vergessenen, durch Unverstand stark gelichteten Zeugnisse der schlichten altpreußischen Bau- und Wohnungskunst in der Mark Brandenburg um 1800 aufmerksam wurden.“
Auf diese Weise stieß Rathenau, der Schmitz zufolge zu den ersten gehörte, die „im Kraftwagen in die Mark hinausfuhren, um die abgelegenen Denkmäler altmärkischer Schloß- und Landhausarchitektur aufzuspüren“, wohl auf das verwahrloste Schlösschen am Rande des Oderbruchs.

Um den Preis von 262 500 Mark entledigte sich die preußische
Krone im September 1909 ihres Besitzes von Schloss und Park Freienwalde, von dem der Kaiser selbst überhaupt erst während der Kaufverhandlungen erfuhr, wie er Rathe­nau gegenüber bekannte.

So sorgfältig wie die Auswahl betrieb Rathenau im folgenden Aneignung und Instandsetzung des Ensembles. Eine Berliner Bildhauerwerkstatt wurde beauftragt, ein genaues Gipsmodell des Gebäudes anzufertigen, das zur Grundlage für die weitere Planung diente und an dem die Wirkung möglicher Umbauten erprobt wurde. Im Ergebnis erhielt das Schloss ein neues Gesicht, das im Einklang mit der Gilly und Schinkel zitierenden Stadtvilla in Berlin-Grunewald seinen klassizistischen Eindruck betonte, ohne es jedoch in den ursprünglichen Zustand rück­zu­versetzen, Dieselbe Absicht leitete Rathenau bei der inneren Aus­gestaltung des Hauses. „Es bot sich hier“, erinnerte sich Schmitz, „eines der ganz seltenen Beispiele eines märkischen Landschlosses dar, dessen Gesellschafts- und Wohnräume mit Papiertapeten, Kaminen, Möbeln, Lichtkronen und sonstigem Hausrat fast genau so erhalten waren, wie sie die Bewohner um 1800 verlassen hatten.“

Wie in den geweißten Decken und den schlichten Türen, Fenstern und Kaminwänden lebte auch in dem geradlinigen, wenig auf Repräsentation bedachten Mobiliar die programmatische Abkehr von einem barocken zu einem bewusst schlichten, fast bürgerlichen Ausstattungsstil fort, der sich in der Zeit Friederike Luises durchgesetzt hatte. Rathenau behielt die vorgefundene Raumaufteilung im Wesentlichen bei. Er konservierte die ursprüngliche Tapetenverkleidung, wo ihr Erhaltungszustand es zuließ, und ergänzte Fehlendes im Empirestil, so dass auch hier der Gesamteindruck gewahrt blieb, ohne dass Rathenau sich streng an Maximen einer stilgerechten Restaurierung hielt. Ebenso verfuhr Rathenau mit der Möblierung, deren Grundstock mehrere Dutzend Sitzmöbel, Schränke, Spiegel, Kommoden und Tische aus der Erbauungszeit des Schlosses bildeten. Dieses 53 Nummern umfassende Inventar hatte der neue Eigentümer sich kaufvertraglich zusichern lassen, dann aber erleben müssen, wie das Hofmarschallamt die Möbel „in irrtümlicher Auslegung des Kaufvertrages“ entfernt und nach Schloss Charlottenburg ins Möbeldepot geschafft hatte. Rathenau bestand darauf, dass das Mobiliar Stück für Stück zurückgebracht wurde, ließ es aufarbeiten und stellte es, um einige dazu gekaufte Möbel vermehrt, entsprechend dem ursprünglichen Zustand wieder auf. Persönlichen Bedürfnissen blieben lediglich einige Räume im oberen Stock vorbehalten, die als Wohnung hergerichtet und mit sanitären Anlagen versehen wurden.

So nimmt es nicht wunder, dass schließlich das unter Rathenau
erneuerte Schloss Freienwalde auf einen Kunsthistoriker wie Hermann Schmitz den „geschlossene(n) Eindruck des Wohnungsstils einer mit den letzten Überlieferungen des 18. Jahrhunderts zusammenhängenden Epoche“ machte. Von einem Museum unterschied es sich gerade dadurch, dass es als „gleichsam noch von dem Lebens­atem der Bewohner durchwehte Flucht von Räumen erschien“. Zufrieden war offenbar auch Rathenau selbst, der nach erfolgter Umgestaltung einen Berliner Fotografen beauftragte, Schloss und Park in Lichtbildaufnahmen festzuhalten, die zu Fotomappen vereinigt wurden. Eine solche Bilderfolge sandte Rathenau zu Weihnachten 1911 auch an Hauptmann zusammen mit einem Schreiben, das vom verhaltenen Stolz des neuen Schlossherrn kündete: „Die Aufnahmen, die ich im Herbst machen ließ, zeigen Haus und Garten noch von allem Blühenden umgeben; ein tüchtiger Kerl von Photographen hat, wie mir scheint, etwas ganz brauchbares geleistet.“

Damit hatte Rathenau eine Reminiszenz an das Kunstideal der nachfriderizianischen Zeit in das öffentliche Bewusstsein zurückgeholt. Seine Aura mochte fingiert und seine Authentizität künstlich erneuert sein, aber er verstand sich als ästhetisches Gegenprogramm zu einer wilhelminischen Selbstüberhebung, die die nach dem Zusammenbruch Preußens 1806 verfolgte Politik der Kräftesammlung, der Selbstbescheidung und der Reformbereitschaft geschichtsvergessen über Bord geworfen habe. Wie zur Bestätigung hielt Rathenau im März 1911 eine Begegnung mit Wilhelm II. fest, der mit ihm über Freienwalde und „Baustile (gegen Schinkel)“ gesprochen habe. Zeitgleich fand Rathenau auch zur politischen Publizistik zurück.

In Freienwalde entstand 1911 die Essaysammlung „Zur Kritik der Zeit“, die zu seinem ersten großen Publikumserfolg wurde und sich wie ein sprachliches Gegenstück zum steinernen Weckruf von Freienwalde liest. In ihr beklagt Rathenau, „dass Preußen-Deutschland [...], das viel gefürchtete und viel bewunderte Land der Technik, das stärkste Industrie­land der Alten Welt [...] weder seine öffentlichen Geschäfte selbst verwaltet, noch eine ausreichende Zahl von Talenten für entscheidende Verantwortungen aufbringt, noch klare und bedeutende politische Ziele besitzt“. Noch sehr viel deutlicher wurde der Autor-Architekt Rathenau in einem im selben Jahr entstandenen Aufsatz „Staat und Judentum. Eine Polemik“, der seine Antwort auf den wachsenden Antisemitismus gegenüber seinen jüdischen Mitbürgern enthält: „Ein Industriestaat von der Bedeutung unsres Reiches bedarf aller seiner Kräfte, der geistigen und materiellen; er kann auf einen Faktor wie den des deutschen Judentums nicht verzichten.“

Mit Kauf und Rettung von Schloss Freienwalde bewies Rathenau im Sinne dieser Ausführungen, dass er als ausgegrenzter Jude im Kaiserreich mehr Verständnis für die Wurzeln des Preußentums aufbrachte als die Schar der Deutschtümler, die nationale Gesinnung für sich reklamierten und sie in Wirklichkeit verrieten. Er, der als Jude in Preußen nicht hatte Reserveleutnant werden dürfen, bewies sich und der Welt noch mit der steifen Kühle der wieder erstandenen Raumfluchten und mit dem Beharren auf dem vollständigen Mobiliar bis hin zur aufrecht erhaltenen Titulierung als „Königliches Schloss“, dass es ihm nicht um den Charme eines ländlichen Tusculums ging, sondern um den tätigen Beleg einer preußisch-jüdischen Symbiose. In dieser Perspektive meinte seine Kritik an der wilhelminischen Stilverwilderung vor allem eine politische Warnung: „Ich kämpfe gegen das Unrecht, das in Deutschland geschieht, denn ich sehe Schatten aufsteigen, wohin ich mich wende. Ich sehe sie, wenn ich abends durch die gellenden Straßen von Berlin gehe; wenn ich die Insolenz unseres wahnsinnig gewordenen Reichtums erblicke; wenn ich die Nichtigkeit kraftstrotzender Worte vernehme oder von pseudogermanischer Ausschließlichkeit berichten höre [...] Eine Zeit ist nicht sorgenlos, weil der Leutnant strahlt und der Attaché voller Hoffnung ist. Seit Jahrzehnten hat Deutschland keine ernstere Periode durchlebt als diese“.

Nur drei Jahre später und mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs sollte Rathenau auf dramatische Weise Recht bekommen. Doch zur Geschichte dieser Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts zählte auch, dass sein Freienwalder Appell so ganz anders verstanden wurde, als er es erhofft hatte. Selbst enge Vertraute wie die mit Rathenau befreundete Frau des AEG-Direktors Felix Deutsch, Lili Deutsch, sahen seine Suche nach Hohenzollernbesitz als Streben nach Nobilitierung, das mit Kaufkraft ausglich, was ihm an sozialer Anerkennung fehlte. Andere führten die museale Kälte der steinernen Programmschrift auf den misanthropischen Charakter des Bauherrn zurück. Zu den ersten Gästen, die Rathenau in Freienwalde empfing, zählte der Geschäftsinhaber der Berliner Handels-Gesellschaft Carl Fürstenberg, der als Hausbankier der AEG den Aufstieg der Familie Rathenau freundschaftlich begleitet hatte und Rathenaus Leistung in Freienwalde durchaus anzuerkennen vermochte. Aber er vergaß darüber nicht sein Unbehagen: „Wir verlebten damals einige nette Stunden in Freienwalde, wenn ich auch gestehen muss, dass das Haus nach meinem Geschmack zum großen Teil zu museumsartig wirkte, um wohnlich sein zu
können. Die gleichmäßige Aufstellung der Möbel entlang den Wänden mochte zwar dem Stil des Zeitalters, in dem das Haus gebaut worden war, vollständig entsprechen, lud aber den Besucher nicht gerade zum Verweilen ein.“ Fürstenberg führte dies darauf zurück, dass „Walther, so große menschliche Eigenschaften er auch besaß, niemals besonders stark durch die Gabe ausgezeichnet gewesen (war), Gemütlichkeit auszustrahlen“.

Fürstenberg war nicht der einzige unter den Freunden Rathenaus, der die Wirkung des umgestalteten Schlosses weniger kulturpolitisch als vielmehr psychologisch deutete. Ebenso dachte der Prinzenerzieher und Schriftsteller Gustav Hillard-Steinbömer, dem schon an Rathenaus Villa im Grunewald ein Widerspruch zwischen ganz persönlicher Schöpfung und völlig unpersönlicher Wirkung aufgefallen war: „Jedesmal, wenn ich in Freienwalde zu Gast war, in einem der sehr einfachen Gastzimmer im Obergeschoß logierte, wo auch seine eigenen, fast puritanischen Schlaf- und Arbeitszimmer lagen, bewegte es mich, wie er seinen Wunschtraum mit dieser preußischen Vergangenheit möbliert hatte, ohne ihn doch selbst zu bewohnen. Wenn ich in den musterhaft assortierten Räumen des Erdgeschosses mit den handgemalten Tapeten und Landschaften, mit den bunten Gardinen vor den tief reichenden Fenstern zwischen Kommoden und Spiegeln, Vasen und Bildern herumging, hatte ich plötzlich das Gefühl, ohne Filzpantoffeln für Schlossbesichtigungen nicht hinreichend ausgerüstet zu sein. [...] Und in dem lichten Speisesaal mit seiner über Wand und Decke, Sesseln und Sofa fortblühenden Blattdekoration saßen wir mehr zum Beschauen und Bewundern als zum Essen.“ Es ist schließlich ein preußisches Königsschloss. Nicht anders nutzte Stefan Zweig eine Erinnerung an Schloss Freienwalde, um ein Bild der kühlen und verschlossenen Persönlichkeit seines Besitzers zu entwerfen: „In seinem feudalen Königin-Luisen-Schloss in der Mark vermochte man nicht warm zu werden vor lauter Ordnung und Übersichtlichkeit und Sauberkeit“.

Gedacht als Manifest einer auf staatsbürgerliche Gleichheit und Einheit gegründeten Bürgergesellschaft, verwandelte Schloss Freienwalde sich unter der Hand zum Symbol einer kulturellen und kommunikativen Selbstisolierung seines neuen Besitzers. Nichts illustriert diese Wendung besser als der vergebliche Versuch Rathenaus, seinen langjährigen Freund und Mentor Maximilian Harden zu einem Besuch nach Freienwalde zu locken. Im Sommer 1910, unmittelbar, nachdem die Umbauarbeiten am Schloss abgeschlossen waren, schrieb Rathenau ihm:
„[...] machen Sie Ihre Entdeckungsfahrt ins Oderbruch. Eine gute Gelegenheit findet sich Sonntag. Fürstenbergs kommen zum Frühstück; vielleicht auch meine Eltern [...]. In Fürstenbergs Omnibus finden Sie jedenfalls einen guten Platz und lebhafte Gesellschaft.“

Harden sagte allerdings nicht nur diesmal mit guten Wünschen für „helle Schlossherrentage“ ab, sondern schlug auch spätere Einladungen aus: „Sie dürfen nicht eine Minute ärgerlich sein, wenn ich Ihnen heute noch einmal absage. Sie dürfen nicht. Ich tue es so ungern. Nicht nur, weil ich Fabelhaftes von der Schönheit des von Ihnen Geschaffenen gehört [...] habe.“ Als der von Rathenau gedrängte Harden schließlich im Herbst desselben Jahres einmal in Aussicht stellte, „Sonntag gegen Mittag auf ein paar Stunden kommen zu können“, beschwor ihn Rathenau geradezu flehentlich, diesmal seine Absicht auch wahrzumachen:

„Lieber Freund, der andre hört aus allen nur das Ja – nämlich für Sonntag – und hofft um so zuversichtlicher darauf. Sie wissen, Lieber, ich will Sie nicht stören und quälen; und da Sie in so herzlicher Weise mir sagen, Sonnabend (morgen) geht es nicht, so bitte ich um gut Wetter und erwarte Sie übermorgen mittag mit Freuden. Der beste Zug geht 9.20. Den Wagen finden Sie an der Bahn. Trotzdem Sie keinen Damenbesuch machen, bitte ich Sie, ein Nachthemd mitzunehmen, denn sehen Sie: ob Sie Sonntag abend oder Montag früh heimkommen, ist kein Unterschied, und Montag fahre ich Sie so früh Sie wollen, nach dem Grunewald. Glauben Sie mir, gleichviel ob Sie Montag und Dienstag Feldherrn, Könige, Völker oder Staaten besingen: die Morgenfahrt in scharfer Herbstluft tut Ihnen gut und gibt Ihnen Stimmung.“ Dennoch kam Harden auch diesmal nicht – angeblich wegen einer überraschenden Zahnentzündung, und ebenso wenig, als Rathenau im Frühjahr und Sommer des Jahres 1912 abermalige Anläufe unternahm: „Wollen Sie mir eine Freude machen? Ich will Sonntag früh nach Freienwalde fahren, wo jetzt wahrscheinlich die Obstblüte anfängt. Darf ich Sie abholen? Nachmittag, spätestens um 6 oder 7h sind wir zurück. Wenn ich keine Nachricht erhalte, so bin ich mit dem Wagen um 9h bei Ihnen.“

Diesmal entschuldigte Harden sich mit Vortragsverpflichtungen. Der eigentliche Grund seiner Weigerung, das Werk seines Freundes in Freienwalde zu bewundern, war natürlich in den schon lange unterschwellig schwelenden Spannungen zwischen beiden zu suchen. Rathenau selbst enthüllte sich dies erst, nachdem es noch im selben Jahr zu einem ersten Ende der langjährigen Freundschaft gekommen war und Rathenau von Hardens abschätzigen Urteilen über ihn erfuhr, für die er Harden umgehend zur Rede stellte: „Es wird mir folgendes gesagt: im Sommer, als ich sehr dringend gebeten hatte, Sie möchten nach Freienwalde kommen, sollen Sie geäußert haben: Sie müssten sich selbst verachten, wenn Sie mit diesem Menschen je wieder freundschaftlich verkehrten.“ Was der selbstbewusste Bauherr als ästhetisches Fanal gegen wilhelminische Maßstabslosigkeit geschaffen hatte, wurde auf diese Weise in der kritischen Rezeption seiner Mitwelt in einen Universalschlüssel zur eigentümlichen Persönlichkeit seines Schöpfers, die eine so auffallende Affinität zur Lebensweise des preußischen Königshauses an den Tag legte. Gern wurde vermerkt, dass der neue Besitzer Wert darauf gelegt hatte, dass dem Anwesen auch weiterhin der Titel „Königliches Schloss“ zukomme.

Der Dichter Fritz von Unruh schilderte seine erste Begegnung mit Rathenaus Sommersitz so: „‘Von hier aus ...’, begann Rathenau [...], ‘haben Sie den besten Blick auf mein ‘Schloss’! Sehen Sie nur, wie die Krone auf der Fahnenstange in der Sonne funkelt! Ja, die sollte ich eigentlich abschrauben!’ Er lächelte. ‘Das verlangte der Kaiser nach Abschluss des Kaufvertrages von mir. Aber ich antwortete dem Hausmarschall, Graf Eulenburg, ich hätte das Schloss mit allem Drum und Dran gekauft und dächte nicht daran, die Krone von der Fahnenstange runter zu nehmen.’ Er lachte hell auf. ‘Nee! diese preußische Königskrone, die hab ich mit gekauft und da glänzt sie nun.!’ – ‘Wie lange?’ fragte ich [...] ‘Nun, 500 Jahre glänzt sie schon.’“ Aus solchen Versatzstücken entstand der Mythos des gemiedenen jüdischen Nabobs, den aller Reichtum nicht vor sozialer Ächtung bewahren konnte und dessen märkisches Landhaus weniger gemeinnützige Kulturtat denn eigennütziges Statussymbol darstelle. So verstanden es auch die Freienwalder Bürger, die sich mit ihrem Buchhändler Johannes Thilo darüber freuten, dass Rathenau daran scheiterte, das Grundstück des Schlossgartens durch Zukäufe zu erweitern, weil es eben doch nicht bei jeder Sache und jedem Menschen nur auf den Preis ankomme, wie dem böswilligen Gerücht zufolge Rathenau behauptet hätte.

Was Rathenau als ästhetisch vorgetragene Kritik an der wilhelminischen Gesellschaft verstanden wissen wollte, übersetzte die Öffentlichkeit bevorzugt als schlecht verhohlene Sehnsucht eines reichen Außenseiters nach Zugehörigkeit zu ihr. Für sie sprach Maximilian Harden, der Rathenaus Beziehung zu Freienwalde nach dem Bruch als durchsichtiges Bemühen der reichen jüdischen Oberschicht um soziale Anerkennung im Kaiserreich denunzierte: „Wer schenkt Fritzenreliquien? Herr Simon. Wer sieht den märkischen Landadel um sich geschart? Herr Friedlaender. Wer kauft ein Hohenzollernschloss samt dem Nähtisch der Königin Luise? Herr Rathenau.“ Die Vorstellung, dass Rathenau auf diesem Wege das ihm als Juden versagt gebliebene Entréebillett in die Gesellschaft des Kaiserreichs hatte erwerben wollen, bediente das Klischee vom jüdischen Aufsteiger, und sie schrieb sich fest in das öffentliche Gedächtnis ein. Bis über seinen Tod hinaus schlug die antisemitische Hetze gegen Rathenau griffige Münze aus dem Topos, dass sich „der durch Gesellschaftsgründungen reich gewordene Sohn Emil Rathenaus zum ‘königlichen Schloss­herrn’“ geadelt habe, indem er sich in „den Besitz des Schreibtisches der Königin Luise“ gesetzt und „Zollernadler an seinen Wänden“ befestigt habe.

Völkische Agitation entwickelte aus diesem Denkmuster dann die in antisemitischen Kreisen gern kolportierte Behauptung, dass Rathenau über dem Portal des Schlosses eine triumphierende Skulptur habe anbringen lassen, welche die Häupter der europäischen Dynastien auf einer Opferschale zeige. Ohne Gespür für die symbolpolitische Unhaltbarkeit der Situation versuchte Rathenau nach dem Krieg seine öffentliche Stellung durch eine zur „Apologie“ erklärte Rechtfertigungsschrift zu befestigen, welche die gegen ihn geltend gemachten Vorwürfe Punkt für Punkt abarbeitete:

„’Freienwalde. Philosoph und Schlossbesitzer. Er besitzt ein Schloss! Ein königliches Schloss! Und’ – so setzen wohlwollende und aufrichtige Menschenfreunde hinzu – ‘er hat sich im Kaufvertrage dieses königliche Beiwort verbürgen lassen.’ Ein schwerer Vorwurf, trotz Voltaire und Humboldt. [...] Ich erwarb das Haus, um es zu retten, und habe es in sorgfältiger Arbeit im Laufe der Jahre wiederhergestellt; manches abhanden gekommene wertvolle Gerät konnte zurückerworben werden, was in den Schmähschriften so gedeutet wird: ‘Ich habe das Schloß mit Antiquitäten und falschen Ahnenbildern angefüllt.’“ Zu dieser Zeit konnte Rathenau, der sein Freienwalder Besitztum zeitweise von Enteignung bedroht sah und in eine Stiftung umgewandelt hatte, sich trotz aller öffentlichen Ablehnung im Glauben wähnen, am Ende recht behalten zu haben. „Noch ehe ein Jahrzehnt vergeht, wird der letzte Schritt zur Emanzipation der Juden geschehen sein“, hatte er 1911 prognostiziert und bei seiner Ernennung zum Außenminister Anfang Februar 1922 selbstbewusst die geforderte Angabe zur Religionszugehörigkeit als nicht verfassungsgemäß verweigert. Wie furchtbar er sich darin täuschen sollte, zeigte wenige Monate später das gegen ihn verübte Attentat rechtsradikaler Republikfeinde – noch vor dem nationalsozialistischen Zivilisationsbruch hatte sich Rathenaus Zukunftsprogramm einer deutsch- jüdischen Symbiose als bloßer Traum erwiesen.

Was bleibt, ist der Ort der Erinnerung an eine geschichtliche Möglichkeit, die versäumt wurde. Schloss Freienwalde kündet von der verlorenen Utopie eines glücklicheren Wegs in die Moderne des 20. Jahrhunderts, und diese Erinnerung ist es wert, einen dauerhaften Platz in unserem Gedächtnis zu behalten.


Von Gerhart Hauptmann, April 1927

Mit Liebe und Pietät hat mein Freund das verwahrloste Königsschlösschen Freienwalde sozusagen aus dem Staube gehoben und ihm den Glanz königlicher Bürgerlichkeit wiedergegeben. Das Geschenk dieser Perle märkischer Kultur an die liebliche Stadt Freienwalde bedeutet die Verwirklichung der rettenden Idee Walther Rathenaus. Aus dem zerbröckelnden Denkmal des Königtums wurde in seiner Hand ein königliches Geschenk an das Bürgertum. So wie auch wir in glücklicher Zeit, stehen nun die gastfreien Pforten von Park und Schloss Freienwalde allen offen, ein Segen für viele Generationen, der seinem Donator zum schönen, dauernden Denkmal werden möge.

   
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Schloss Freienwalde vor dem Umbau 1909
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Nach dem Umbau im Jahre 1916
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Kreiskulturhaus "Alexander Puschkin" 1985
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Walther-Rathenau-Gedenkstätte frisch renoviert, 2007
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Natürliches Licht und das Knarren der Treppe – seit über 200 Jahren unverändert.
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Der vordere Schlosspark nach der Umgestaltung 1916
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Nach dem Umbau durch Rathenau,
Foto aus dem Jahre 1912
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Balkon Walther Rathenaus mit Blick
auf die Georgenkirche
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Das Balkonzimmer im ersten Stock

In diesem – von Walther Rathenau selbst mit beherrschendem Halbrundfenster und Balkontür als Wohn- und Lesezimmer gestalteten Salon – beginnt heute der Besucherrundgang durch die Gedenkstätte.
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Ansichtskarte um 1900: Schloss Freienwalde, südliche Terrasse mit Ildefonso-Gruppe. Der Ofen aus Eisen­kunstguss aus dem frühen 19. Jahrhundert mit der so genannten
Ildefonso-Gruppe als Skulpturenaufsatz war damals weiß gestrichen.
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Hier standen schon viele illustre Persönlichkeiten
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Fenster von Rathenaus Schlafzimmer
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